Podcasts haben 2020 endgültig den Mainstream erreicht, das zeigt der immense Erfolg des Coronavirus-Update mit Christian Drosten. Längst sind es nicht nur die Jungen oder Technikaffinen, die regelmäßig in die vielfältige Welt der Gespräche und Erzählungen eintauchen: Millionen Menschen in Deutschland haben einen Podcatcher – also eine App zum Podcasts hören – auf ihrem Smartphone installiert.
Das Geschäft mit den Podcasts lockt kapitalstarke Konzerne. Amazon, Apple und Spotify buhlen um die Vorherrschaft über das junge Medium. Aber Trotz rasant wachsender Hörer:innenzahlen hat sich noch kein Geschäftsmodell als das Nonplusultra herauskristallisiert, kein Konzern beherrscht den Markt maßgeblich. Noch. Dabei wäre viel zu holen – die Lücke zwischen Monetarisierung und Engagement klafft.
Spotify hat als Thronanwärter in den vergangenen Jahren besonders auf sich aufmerksam gemacht. Eine knappe Milliarde Dollar hat der schwedische Konzern bisher ausgegeben und sich von der Produktion bis zur Vermarktung und Bewerbung überall ein Stück vom Kuchen einverleibt. Deals mit exklusiven, teuren Podcaster:innen nicht inbegriffen. Spotify könnte zum YouTube der Podcasts werden, fürchten Beobachter:innen. Auf der eigenen Plattform hätte die Firma dann die Kontrolle über Werbung und Monetarisierung, Empfehlungen und Nutzungsdaten. Die Weichen für ein Quasi-Monopol sind gestellt.
Millionenpublikum, aber kein klares Erlösmodell
Neunzehn Millionen Menschen hören in Deutschland Podcasts. Laut einer Studie von ARD/ZDF sind es sogar gut acht Millionen, die wöchentlich und regelmäßig hören. Als durchmischte Landschaft sehen die Autor:innen der Studie das Angebot. Heute gibt es Podcasts von öffentlich-rechtlichen Sendern, Privatpersonen, Brettspielfans, Physiker:innen, Promis, Verlagen, Comedians, Wissenschaftler:innen, Banken, britischen Royals und Michelle Obama. Und natürlich ein Überangebot an True Crime.
Für viele Podcaster:innen ist es aber noch immer schwierig, Geld zu verdienen. Bezahlmodelle setzen sich in einem frei und kostenlos zugänglichen Markt nur zaghaft durch. In Abwesenheit von belastbaren Nutzungsstatistiken kriegen meist nur große Formate ertragreiche Werbeverträge. Mittelgroße Podcasts setzen dagegen oft auf freiwillige Unterstützung durch Fans über Plattformen wie Steady oder Patreon – mit gemischtem Erfolg.
Automatisierte Werbung, die dynamisch in einen Podcast eingesetzt wird, wäre eine weitere Möglichkeit. Viele Plattformen und Konzerne nähern sich dem Problem auf unterschiedliche Art und Weise an. Spotify sticht heraus, weil der Streamingdienst in allen erwähnten Bereichen mitmischen will.
Podcasts, bevor sie cool waren
„Früher haben die Leute nicht wirklich verstanden, was ich mache, wenn ich gesagt habe, ich mache einen Podcast“, erzählt Frank Joung. Mit seinem Podcast Halbe Katoffl ist er schon seit gut vier Jahren im Geschäft und damit einer der Älteren in der deutschen Szene. „Wenn ich Leuten heute sage, ich mache einen Podcast, scheinen sie es zwar gut zu finden, zucken aber eher mit den Schultern – so nach dem Motto: ‚Ah, du auch?’“.
Vor allem zu Beginn musste Joung viel Kommunikationsarbeit leisten, um potenziellen Hörer:innen zu erklären, wie und mit welchen Apps man überhaupt Podcasts hören kann. Doch sein Konzept kam an. Für Halbe Katoffl interviewt Joung Deutsche, die wie er nicht-deutsche Wurzeln haben. In ungezwungenen und intimen wie lustigen Gesprächen geht es um Alltagsrassismen, Stereotypen, Integration aber auch um Leidenschaft, gutes Essen, Familie.
Nele Heise, freie Medienwissenschaftlerin, beobachtet Podcasts in Deutschland schon seit Jahren genau: „Wofür Podcasting einen Fokus geschaffen hat, ist die Wertigkeit des Gesprächs. Wo hast du das sonst medial repräsentiert?“ Hörer:innen schätzen, so Heise, „dass sie an Gedankenformulierungen und Auseinandersetzungen teilhaben können“.
Gerade Inhalte, die es wegen struktureller Barrieren seltener durch die Abnahme traditioneller Nachrichtenhäuser geschafft hätten, florieren in der jungen Podcastwelt. Marginalisierte Journalist:innen und Kreative konnten sich ausprobieren, ohne inhaltliche Eingriffe oder Whitewashing befürchten zu müssen. In Podcasts kann man diesen Geschichten anders begegnen. Heise: „Du musst ihnen zuhören“. Erfolgreiche Formate die die Welt aus nicht-weißer Perspektive zeigen, wie die Kanackische Welle oder Rice and Shine, wären vielen traditionellen Redaktionen bis heute nicht zuzutrauen.
Blockbuster aus den USA
Während sich in Deutschland der Erfolg von Podcasts erst rumsprechen musste, waren sie in den USA schon länger Medium der Stunde. Mit zig Millionen Downloads war die bereits 2014 erschienene, amerikanische Produktion Serial jahrelang der erfolgreichste Podcast überhaupt. Pünktlich zur tumulthaften Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Donald Trump startete die New York Times 2017 den bis heute erfolgreichsten Nachrichtenpodcast überhaupt, The Daily. Und zeigte damit, dass auch tagesaktueller Journalismus mit dem Format Hand in Hand geht. (Eine neue Wendung nahm die Geschichte letzten Sommer, als die New York Times Serial Productions gekauft hat.)
Aber obwohl bereits hunderte Millionen Menschen weltweit regelmäßig Podcasts hörten, blieb der Plattformmarkt relativ unumkämpft. Der größte Umschlagplatz war und ist bis heute Apple mit Apple Podcasts. Für viele iPhone-Nutzer:innen ist die vorinstallierte App der Standardzugang um Podcasts zu hören. Aber ungeachtet davon, womit man Podcasts hört, der Katalog von Apple Podcasts kommt einer zentralisierten Sammelstelle von Podcasts wohl am nächsten. Denn viele große Podcatcher wie Pocket Casts und Overcast greifen einfach die Bibliothek von Apple Podcasts für ihr eigenes Angebot ab.
Apple selbst unterstützt Podcasts bereits seit 2005 – und war nebenbei bemerkt auch Namensgeber für das Wort Podcast, ein Kofferwort aus „iPod“ und „Broadcast“. Doch der Konzern hat seine App die längste Zeit nur stiefmütterlich behandelt.
Da Apple lange Zeit kaum im Werbegeschäft vertreten war, bestand kein Anreiz, die Podcastplattform groß weiterzuentwickeln. Und das, obwohl Apple schon seit 2015 ein Patent für dynamische Einbettung von Werbung hält, das den Podcastmarkt grundlegend verändern könnte. Außer rudimentärer Charts gab es keine Empfehlungsmechanismen, für Podcaster:innen nur sehr spärliche Statistiken zu Nutzungsverhalten.
Ein zusammengezimmertes Ökosystem
Was Podcasts in ihrem aktuellen Zustand auszeichnet und gleichzeitig so angreifbar macht, ist die freie Infrastruktur. Der zwanzig Jahre alte Web-Feed-Standard RSS ist ein wackliges Fundament. Im Grunde funktionieren alle Podcasts so: Eine Audiodatei wird auf einen Server geladen; die URL zu dieser Datei wird zum RSS-Feed eines Podcasts hinzugefügt, von dem jeder Podcast einen hat; ein Podcatcher durchsucht regelmäßig alle abonnierten RSS-Feeds nach neuen Folgen.
Das hat klare Vorteile. Zum einen ist die Infrastruktur ein Paradebeispiel für Dezentralisierung und Interoperabilität. Es gibt also für Hörer:innen keinen Zwang, eine bestimmte App zu nutzen und für Produzent:innen keinen Zwang, eine bestimmte Plattform zu nutzen. Zum anderen kann keine einzelne Firma über Funktionsweisen oder Standards bestimmen. Kommunikationswissenschaftler John Sullivan bezeichnet RSS in diesem Kontext gar als „Anti-Plattform“, die die Freiheit, der Podcastwelt, wie wir sie kennen überhaupt erst ermöglicht.
Doch die Zeiten wo jede:r den eigenen Podcast auf einem eigenen Server hostet, sind schon längst vorbei. Nicht jede:r hat die technischen Ressourcen einen eigenen RSS-Feed zu erstellen. Mit der wachsenden Popularität entstand schnell eine Sekundarwirtschaft: Auf der einen Seite Plattformen die das Hosting gegen eine geringe Gebühr übernehmen und die RSS-Feeds veröffentlichen. Auf der anderen Seite Apps – Podcatcher –, die auf die Feeds zugreifen und uns allen das Hören ermöglichen. Solange sich alle Beteiligten an dem Markt an diese Grundstruktur halten, nennt man das wohl einen gesunden Wettbewerb.
Deutsche Liebe für Hörbücher bringt Spotify auf den Plan
Und für viele Podcastfans hätte es wohl auch ewig so weitergehen können. In Apple sah man einen Plattformanbieter, der sich trotz Marktdominanz nicht groß einmischte, während die Podcastwelt sich fröhlich weiterentwickeln und ausprobieren konnte, ohne sich viele Gedanken über Marktoptimierung machen zu müssen. Kleinere Startups wurden entweder als harmlose Bereicherung der Vielfalt gesehen oder schlugen fehl – wie die ambitionierte App Luminary, die phänomenale 160 Millionen Dollar in den Sand setzte.
Bis vor wenigen Jahren verstand sich die 2008 in Schweden gegründete Firma Spotify als reiner Musikstreaming-Service. Über die letzten Jahre hinweg konnte Spotify den eigenen Marktanteil stetig ausbauen und hat mit aktuell über 144 Millionen zahlenden Nutzer:innen den Musikstreamingmarkt fest im Griff – Apple Music hat im Vergleich etwa 72 Millionen Nutzer:innen. Wie Gründer Daniel Ek im Podcast StartUp von Gimlet erzählt, stach das Wachstum eines Landes aber besonders hervor: Deutschland.
Wie sich herausstellte, hatten Labels in Deutschland nicht nur Musik sondern auch Hörbücher auf Spotify zur Verfügung gestellt, was zu erheblich längeren Verweildauern auf der Plattform führte. Und, wie wir von anderen Streaminganbietern wissen, je mehr Zeit Nutzer:innen auf einer Plattform verbringen, desto stärker die Bindung. Also begann man sich bei Spotify für Podcasts zu interessieren.
Spotify startete Welle an Investitionen
In einem ersten Schritt ermöglichte Spotify 2015 in seiner App das Hören von Podcasts und reihte sich damit neben eine Vielzahl anderer Podcatcher ein. Anders als andere Unternehmen in dem Bereich zeigte sich Spotify aber von Anfang nicht nur an einem einzelnen Aspekt des Podcast-Ökosystems interessiert.
Einen ersten Versuch startete Spotify in Deutschland. 2016 warb Spotify Jan Böhmermann und Olli Schulz an. Ihre Sendung Sanft & Sorgfältig hieß nun Fest & Flauschig und statt auf dem Berliner Sender radioeins würde sie fortan auf Spotify als Podcast laufen. Von dessen Erfolg angespornt, schaute sich Spotify weiter um. Was, wenn man die Millionen an Spotify-Kund:innen auch zu Podcasthörer:innen machen könnte?
Mit diesem Ziel im Auge investierte Spotify immer weiter in exklusive Podcasts, oft getragen von prominenten Hosts. Spätestens Anfang 2019 wurde klar, dass Spotify es ernst meinte. Ek verkündete die Akquisition der New Yorker Podcast-Produktionsfirma Gimlet Media (Berichten zufolge für 200 Millionen Dollar) und der Hostingplattform Anchor (140 Millionen Dollar). Zwei weitere Produktionsfirmen, Parcast und The Ringer (54 und 196 Millionen Dollar), folgten. Alle drei Podcast-Schmieden reagierten, indem sie Gewerkschaften gründeten. Anfang 2020 kam die Ad-Tech Firma Megaphone hinzu (235 Millionen Dollar), die verspricht, Werbung dynamisch in Podcasts einzubetten.
Damit wurde Spotify innerhalb weniger Jahre vom David zu einem vertikal integrierten Goliat, der vom ersten ins Mikrofon gesprochene Wort bis zum Ohr der Hörer:in überall seine Finger im Spiel hat. Noch ist Spotify in Nutzungszahlen hinter Apple Podcasts, gewinnt aber stetig an Hörer:innen. Laut der deutschen Hostingplattform Podigee war Spotifys Marktanteil Ende 2019 mit 34 Prozent fast genauso hoch wie der von Apple Podcasts mit 36 Prozent.
Hierzu sei angemerkt, dass Statistiken zu Podcastnutzung immer mit Vorsicht zu genießen sind. Weil es so viele verschiedene Plattformen für Podcasts gibt, lassen sich über die tatsächlich benutzten Apps nur stichprobenartige Aussagen treffen. Sie basieren auf den Daten einzelner Unternehmen. Es gibt zudem keine industrieweite Definition, was als ein „Hören“ eines Podcasts gezählt wird. Podcatcher laden in der Regel die gesamten Audiodateien herunter, weshalb der Erfolg von Podcasts üblicherweise in Downloads gemessen wird. Ob die Podcasts dann tatsächlich gehört werden, lässt sich daraus aber nicht ablesen.
Der Mangel an genauem Tracking des Hörverhaltens ist je nach Perspektive Feature oder Bug. Zum einen wahrt dieser Umstand den Antrieb aus Leidenschaft, der Podcasts für viele ausmacht. Der Inhalt kann nicht auf detailliertes Nutzungsverhalten abgestimmt, Hörgewohnheiten nicht ausgenutzt werden. Andererseits ist es sehr viel schwieriger Werbeverträge zu landen, wenn man potenziellen Sponsoren gegenüber nicht sagen kann, wie oft die Werbung tatsächlich gehört werden wird.
Der eingefriedete Garten
Ein Thema zieht sich durch die Pressemitteilungen, die Spotify regelmäßig für Investor:innen bereitstellt: Man sieht im Podcastmarkt unglaublich viel Potenzial. Von „strategischen Akquisitionen“ ist die Rede, man zeigt sich sehr ambitioniert und will zum Marktführer für Podcasts werden. Das ist verständlich, denn man muss die teuren Übernahmen gegenüber Investor:innen rechtfertigen. Obwohl Spotify 2018 erfolgreich an die Börse ging und erstmals mit seinen Bezahlabos Profit gemacht hat, äußerten Geldgeber Anfang 2021 Misstrauen in die Rieseninvestitionen.
Sollte die Wette aber aufgehen, könnten die Folgen gravierend sein. Der Schlachtplan könnte in etwa so aussehen: Mit einem überzeugenden Katalog an exklusiven Podcasts werden Hörer:innen zu Spotify geholt. Mit den erprobten Produktionsfirmen hat man ausreichend Expertise eingekauft, zusätzlich bedient man sich an der Fanbase von Prominenten. In Deutschland haben sich in den letzten Jahren unter anderem Luisa Neubauer, Palina Rojinski, Felix Lobrecht, Sandra Maischberger und Charlotte Roche zu Jan Böhmermann und Olli Schulz dazugesellt. Hat man nun deren Fans als Podcasthörer:innen gewonnen, wird Spotify im Idealfall zum Standardportal für Podcasts – es entsteht ein „Lock-In“-Effekt. Abgerundet wird das Angebot durch Podcasts aus der freien Szene, die weiterhin in Spotify, wie in allen anderen Podcatchern, angeboten werden.
Kleinere Anbieter wiederum können es sich nicht leisten, nicht auf einer der größten Plattformen vertreten zu sein. Auch wenn sie vielleicht gar nicht wollen, dass Spotify durch ihren Podcast bezahlende Abonnent:innen gewinnt, weil sie gar nicht wissen, dass es andere Podcatcher gibt und die Podcasts auch werbefrei verfügbar sind. Anders als bei Musik bezahlt Spotify Podcaster:innen keinen Cent, wenn ihre Erzeugnisse über die Plattform gehört werden.
Quantifizierung der Qualität
Sind die Hörer:innen einmal auf der Plattform, gilt es sie zu halten. Wenn es Spotify hier gelingt, Empfehlungsalgorithmen – wie sie schon in der Musik zum Beispiel mit der „Discover Weekly“-Playlist existieren – erfolgreich auf Podcasts auszuweiten, hätte der Konzern mit einem Schlag sehr viel Macht darüber, was wir vor die Ohren bekommen.
Wir haben Spotify zu allen angeführten Punkten um Kommentar gebeten. Über eine PR-Firma hat der Konzern es aber abgelehnt, unsere Fragen zu beantworten. Wie die meisten Technologiefirmen hält sich Spotify in Sachen Algorithmen aber sehr bedeckt. Eine oberflächliche Analyse der Jobangebote auf LinkedIn zeigt aber, dass sie für ihre Musik- und Podcastempfehlungen nicht nur nach Ingenieur:innen für maschinelles Lernen suchen, sondern auch nach einer Ethiker:in für Künstliche Intelligenz – immerhin.
Sollte Spotify es tatsächlich schaffen – und sie sind auf einem guten Weg –, zu einer Art YouTube für Podcasts zu werden, drängen sich noch weitere Bedenken über den Einfluss einer einzigen Firma auf ein kulturelles Genre auf. Statuierte Exempel gibt es zuhauf, zum Beispiel YouTube selbst. Die Videoplattform stand in den letzten Jahren immer wieder in der Kritik, mit ihren Empfehlungen Radikalisierungen zu beschleunigen und Suchtverhalten zu befördern.
Aber ungebändigte Algorithmen müssen nicht gleich Extremismus fördern, um kulturelle und gesellschaftliche Auswirkungen zu haben. Vor ein paar Jahren bemerkten immer mehr namhafte YouTuber:innen, dass ihre Videos öfter gesehen wurden, wenn sie länger als zehn Minuten waren. Etliche Kreative sahen sich daraufhin gezwungen, ihre Formate anzupassen oder ihr komplett von YouTube abhängiges Einkommen dahinschwinden zu sehen. YouTuber:innen nannten es „das Ende der goldenen Ära“. Statt experimentellen, kleinen Kanälen fand man vermehrt traditionellere, personengetriebene Videos in den Empfehlungen.
Zum aktuellen Zeitpunkt sind mögliche Auswirkungen auf das Format Podcast durch Spotify rein spekulativ. Allerdings wäre es für Spotify selbst nicht das erste Mal. Schon länger bemerken Kulturkritiker:innen, dass Lieder immer kürzer werden. Nicht nur das, immer öfter beginnen Lieder auch mit dem Refrain oder der Hook statt mit der ersten Strophe. Das Ziel ist, den Anfang so unterhaltsam wie möglich zu gestalten, denn wer über dreißig Sekunden eines Lieds hört, wird als ein ganzer Stream gezählt.
Marktplatz und Zulieferer in einem
Spotify präsentiert und kuratiert aber nicht nur Inhalte, sondern produziert auch selbst Podcasts. Damit haben sie ein berechtigtes Interesse, in Empfehlungen ihre eigenen Inhalte anderen vorzuziehen. Bisher gibt es zwar keine Indizien, dass das passiert, aber auch keine Garantien seitens Spotify, es nicht zu tun.
Ein Interessenkonflikt entsteht aber in jedem Fall, wenn Spotify mit freien Inhalten auf der eigenen Plattform konkurriert. Frank Joung, der Produzent von Halbe Katoffl, kann davon ein Lied singen. Der Konzern löste im Sommer 2020 einen kleinen Skandal aus, als er den Podcast Gute Deutsche vorstellte. Darin unterhält sich die Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis mit Deutschen über ihren Migrationshintergrund „um auf humorvolle, authentische Art persönliche Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam über den Alltag zwischen den Kulturen zu reden“.
Das hört sich bekannt an, weil es das ist. Schnell merkte man in der doch noch recht überschaubaren Podcast-Szene, dass das Konzept dem von Halbe Katoffl zum Verwechseln ähnlich ist. Inklusive teilweise wortgleichen Beschreibungstexten und kurzweiligen, verspielten Segmenten am Ende. Nur konnte Spotify als großer Konzern dank der entsprechenden Aufmerksamkeit schnell prominente Gäste buchen.
„Das hat mich schon gestört“, erinnert sich Frank: „Ich hab mich zwar mittlerweile beruhigt, aber ich war damals sauer und dachte, Spotify ist nicht nur ein großer Player und hat das Geld und die Power Promis zu bekommen, sondern die haben ja schon ein Monopol, was die Ausspielungsplattform angeht. Und ich hatte die Befürchtung, dass Halbe Katoffl da nicht mehr stattfindet.“
Zumindest, meint Frank, hätte man vorher anrufen können und die Ähnlichkeit anerkennen. Denn Schwarze Podcaster:innen und Podcaster:innen of Color haben das Ganze überhaupt erst aufgebaut. „Es ist, wie wenn man einen Sandberg baut. Man schaufelt da alleine rum, bis jemand kommt und beim Schaufeln hilft. Der Berg wird langsam größer – und dann kommt Spotify mit einem Riesen-Bagger und kippt eine Riesenmenge Sand oben drauf. Da würde ich erwarten, dass man dann wenigstens sagt: ‚Das waren wir nicht alleine.'“
Neue Werbetechnik hilft beim Burgbau
Eine weitere Strategie, die Spotify im Ausbau seiner Plattformdominanz verfolgt, ist die der dynamischen Werbung. Mit der Plattform Anchor, über die Podcaster:innen kostenlos ihre Produktionen hosten können, verspricht man einfache und unkomplizierte Monetarisierung über automatisch ausgewählte und in den Podcast eingebettete Werbung. Damit kommt der Streamingservice dem Modell von YouTube um einen weiteren Schritt näher.
Mit der Produktionssoftware Soundtrap, ebenfalls im Besitz von Spotify, soll es für Kreative außerdem möglich sein, Podcasts direkt auf der Plattform zu produzieren. Damit wäre es also möglich, den gesamten Lebenszyklus eines Podcasts über dieselbe Firma abzuwickeln.
Kürzlich veröffentlichten Berichten zufolge funktioniert das Modell zwar noch nicht ganz wie wohl von Spotify gewollt. Momentan scheint der größte Werber auf Anchor Spotify selbst zu sein – mit Werbung für Spotify. Trotzdem, für Produzent:innen, die mühvolle Arbeit in ihre Podcasts stecken, könnte dieses Modell ein Weg sein, für ihre Zeit auch bezahlt zu werden. Auch Amazon scheint ähnliche Pläne zu verfolgen, wie die Übernahme der Werbeplattform Wondery zeigt.
Es ist ein zweischneidiges Schwert. Bei allen möglichen Bedenken, haben die Investitionen, die Spotify in Podcasting steckt, einen spürbaren Streueffekt. Viele Menschen hätten ohne dessen teils penetrante Vermarktung vielleicht nie zum Podcasting gefunden. Selbst Frank Joungs Beziehung zu Spotify ist zwiegespalten. Ja, die Kopie lässt einen unguten Geschmack zurück, aber auch Halbe Katoffl gewinnt durch Spotify Hörer:innen. Spotify will zwar ein sehr großes Stück vom Kuchen, macht dabei aber auch den Kuchen größer.
Die Menge macht das Gift
Es gibt Indizien, die darauf hinweisen, dass sich Spotify seiner Verantwortung bewusst ist. Die Produktionshäuser, die Spotify aufgekauft hat, scheinen dem Ethos der freien Podcastwelt treu zu bleiben. Alte Sendungen von Gimlet Media zum Beispiel, darunter die immens populären Sendungen Reply All und Heavyweight, werden nach wie vor auch in freien Podcatchern verfügbar sein. Das garantieren die Produzent:innen. Auch neue Produktionen, die unter der Leitung von Spotify entstanden sind, können außerhalb von Spotify gehört werden. Der Podcast Wind of Change, von Vielen als der beste Podcast von 2020 angepriesen, wurde exklusiv auf Spotify veröffentlicht und wochenweise auch traditionell per RSS-Feed zur Verfügung gestellt.
Dieses Modell aus exklusiven und frei zugänglichen Produktionen hat sich nicht nur für Spotify rentiert. Auch die Süddeutsche Zeitung, die mit ihrem breiten Podcastangebot neben ZEIT Online eine der größten journalistischen Podcastproduzentinnen in Deutschland ist, fährt mit so einem Angebot gut. Tagesaktuelle Podcasts gibt es für alle, aufwändigere Produktionen entstehen in Kooperation mit der ProSiebenSat.1-Tochter FYEO exklusiv für die Abonnent:innen der beiden Anbieter.
„Ich glaube, es wird immer auch freie Podcasts geben“, erzählt Vinzent-Vitus Leitgeb, der seit letztem Jahr die Podcastredaktion der SZ leitet. „Zum Glück, weil es vielen Leuten einen Zugang zu einem Medium bietet und vielen Leuten eine Stimme geben kann.“ Es stimmt zwar, dass die Plattformen sich immer stärker positionieren würden, aber er sieht das weniger kritisch. Denn ambitionierte, narrative Projekte kosten viel Geld. Geld, das in der freien Podcastszene sonst einfach außer Reichweite ist. Im SZ-Podcast Deutsche Abgründe zur NSU-Affäre stecken acht Monate Recherche von Leitgeb selbst, ein Producer wurde angestellt, es gab einen Sound Designer, sogar einen Dramaturg hat man ins Boot geholt. Ohne private Partnerschaften wären solche Produktionen ein Ding der Unmöglichkeit.
Auch bleiben viele exklusive Produktionen dem ungeschriebenen Motto, marginalisierte Stimmen zu fördern, treu. Medienwissenschaftlerin Nele Heise kann darin Gutes sehen: „Audible war einer der ersten Andockpunkte für Leute, die keinen Job im Radio hatten. Und das muss man ihnen zugute halten, dass sie dieser Audioproduzent:innenecke einen Stoß gegeben haben.“ Bei Spotify ist es ähnlich. Einer neuen Studie zufolge führt die Popularisierung sogar zu mehr Diversität unter den Podcastmacher:innen.
Vielleicht ist das war wir mit Podcasts gerade erleben, einfach nur die natürliche Entwicklung eines Mediums, das rasant an Popularität gewinnt. Die Frage ist, wie wir damit umgehen sollen. „Der ganze hochgespülte, durchaus kommerziell orientierte Marktbereich – ich glaube da werden noch ein paar Federn gerupft in den nächsten Jahren“, erwartet Heise. Jetzt heißt es, kritisch mit dem Medium umzugehen, die Rezeption muss mit dem Medium gemeinsam groß werden, wie das an einigen Stellen bereits passiert.
Purist:innen mögen sagen, dass eine Audiodatei hinter einer Paywall und ohne RSS-Feed den Namen Podcast gar nicht tragen darf. Das ist eine Überlegung wert. Denn trotz der riesigen Fangemeinde und der immer größer werdenden Investitionen, steckt das Medium noch in den Kinderschuhen. Definitionsunschärfen sind weit verbreitet und Hörgewohnheiten ändern sich regelmäßig.
Es erinnert ein wenig an eine Band, die plötzlich berühmt wird. Der Klang verändert sich, alles wird polierter. Bald romantisieren alte Fans die Zeiten, als ihre Idole noch in kleinen Bars mit schlechtem Soundsystem im Kreis der Eingeweihten spielten. Für die Fans ist es, als könnten nur sie selbst die Band „so richtig verstehen“. Aber die Band freut sich, nicht mehr immer nur im Tourbus schlafen zu müssen, sie möchte sich mit den neuen Fans über die gemeinsame Leidenschaft freuen. Und kleine Bands, innovative Geheimtipps, die wird es immer geben.
Der Podcast Deutsche Abgründe klingt interessant. Schade, dass man dafür gezwungen ist die FYEO App zu nutzen.
Ich habe schon eine Podcast-App mit der ich zufrieden bin. Ich habe keine Lust ständig verschiedene Apps zu nutzen (Spotify, FYEQ, Audio Now, Deezer, ARD Audiothek etc.). Und auf das Tracking kann ich auch gut verzichten.
TLDR: Gebt mir einen RSS-Feed mit MP3-Dateien.
Ich bin auch bereit dafür zu bezahlen.
cool, danke
Toller differenzierter Artikel! Für mich als Podcast-Hörer jenseits von Spotify sehr interessant.
Ich konnte bislang mit weder mit Podcasts noch Hörbüchern etwas anfangen.
Ok, ab und zu habe ich auch mal in einem Podcast reingehört und den „5 Minuten Harry Podcast“ von Coldmirror feiere ich total, aber ich weiß nicht ob man das als Podcast im klassischen Sinne sehen kann, weil er seine volle Wirkung erst mit Bild enfaltet.
Ansonsten fühlt es sich komisch an, sich gezielt hinzusetzen, nur um einem Podacast oder Hörbuch zu lauschen. Anstelle eines Podcast schaue ich mir lieber etwas an und anstelle des Hörbuches lese ich lieber selber.
Freunde von mir sagen, sie hören das nebenbei, sei es im Auto oder als Hintergrundbeschallung bei anderen Aufgaben.
Da wiederum fehlt mir die Zeit. Im Auto höre ich Musik und die 20 Minuten Fahrt zur Arbeit sind mir zu kurz für ein Hörbuch oder Podcast, ich will ja wissen wie es weiter geht :D
Aber vielleicht muss ich dem ganzen auch mehr Chancen geben, damit ich auf den Geschmack komme.
Podcasts höre ich meistens auf einem Fritzfon, da läuft auch kein Spotify. Viele Öffentlich-Rechtliche Radiosender podcasten auch als RSS-Feed, und sind bei AVM Geräten schon voreingestellt. Da stimme ich John Sullivan von der Free Software Foundation voll und ganz zu:
Spotify verwende ich nicht, weil diese Platform DRM verwendet und Werbung mehr als nur nervt.
Spotify ist mir viel zu durchsetzt mit Werbung. Im Prinzip ist es ja das selbe Geschäftsmodell wie das von youtube. Da finde ich den spendenbasierten Ansatz, den man bei manchen Podcasts vorfindet, die nicht auf Spotify zu hören sind, sondern nur bei iTunes oder über eine eigene Webseite zum Download angeboten werden, viel angenehmer.
Felix Lobrecht zu nennen ist richtig und wichtig, da es sich um den meistgehörten deutschen Podcast handelt. Hierbei aber Tommy Schmitt zu unterschlagen ist ungünstig wie ich finde, auch wenn Felix der bekanntere ist, für den Podcast sind beide gleich wichtig.
Vier Jahre alte Podcast waren vielleicht der Beginn des Podcast-Mainstreams in Deutschland, aber es gibt noch deutlich ältere wie zum Beispiel Chaos Radio Express, die schon seit 2005 „auf Sendung“ sind.
Das stimmt. Da zieht der Artikel eine Linie, die zwangsweise etwas arbiträr ist. Es gibt auch Leute, die von einem ersten Boom Mitte der 2000er sprechen. Ich selbst habe das Format durch den Soziopod in den frühen 2010ern kennengelernt. Für das populäre Verständnis waren aber gerade die letzten paar Jahre besonders prägend, deshalb die Einschränkung. Wobei es durchaus spannend wäre, sich mal die „Vorfahren“ und deren Einfluss anzuschauen.